Gen­dern im Na­men der Kaiserin

Ein klei­nes Ge­bet­buch aus dem Jahr 1745 birgt in sei­nem In­ne­ren nicht nur eine in­ter­es­san­te Er­gän­zung zum Werk des Ba­rock­ma­lers Paul Tro­ger – es war­tet auch mit ei­ner an­de­ren Über­ra­schung auf.

Hoch her ging es im Jahr 1744 bei den Künst­lern der Reichs- und Re­si­denz­stadt Wien: Von obers­ter Stel­le war den füh­ren­den Ma­lern un­ter­sagt wor­den, aus­wär­ti­ge Auf­trä­ge an­zu­neh­men. Statt­des­sen soll­ten sie Wer­ke lie­fern für die im Um­bau be­find­li­che Som­mer­re­si­denz Ma­ria The­re­si­as, Schloss Schön­brunn. Auch der Ma­ler Paul Tro­ger muss­te sei­ne Bau­stel­le im baye­ri­schen Zis­ter­zi­en­ser­klos­ter Fürs­ten­zell ab­sa­gen. Im­mer­hin hat­te man ihn aus­ge­wählt, das neue Hoch­al­tar­bild der Schloss­ka­pel­le zu liefern.

Dass der Künst­ler da­bei aus­ge­rech­net auf sei­nen Erz­ri­va­len Da­ni­el Gran tref­fen soll­te (der die De­cken­fres­ken schuf) dürf­te die Ge­samt­si­tua­ti­on nicht un­be­dingt ent­spannt ha­ben. Und auch Ma­ria The­re­sia scheint nur mä­ßig von Tro­ger be­geis­tert ge­we­sen zu sein – für die Fres­ken im Schön­brun­ner Me­na­ge­rie­pa­vil­lon (1752) und im Ost­ter­ras­sen­ka­bi­nett (1755) be­rief sie lie­ber Tro­gers Kon­kur­ren­ten Jo­seph Ignaz Mildorfer.

Das ver­schwun­de­ne Fest

Im Zuge der Neu­ge­stal­tung ließ Ma­ria The­re­sia, seit Mai 1743 ge­krön­te Kö­ni­gin von Böh­men, das Pa­tro­zi­ni­um der Schön­brun­ner Ka­pel­le ver­än­dern. An­stel­le der hl. Mag­da­le­na (Fest­tag 22. Juli) wur­de der 23. Jän­ner als neu­es Ti­tel­fest aus­ge­sucht, das Fest „Ma­riae Ver­mäh­lung“. Die­ser heu­te von der ka­tho­li­schen Kir­che nicht mehr be­gan­ge­ne Ge­denk­tag er­in­ner­te an eine Be­ge­ben­heit aus dem le­gen­den­haf­ten Le­ben Ma­ri­as: An die jun­gen Män­nern, die sich um Ma­ria als Braut be­müh­ten, wa­ren höl­zer­ne Stä­be ver­teilt wor­den, wo­bei nur je­ner des hl. Jo­seph zu blü­hen be­gon­nen ha­ben soll – als Zei­chen sei­ner gött­li­chen Er­wäh­lung. Die Sze­ne, bei der Jo­seph sei­ner Braut im Bei­sein ei­nes Ho­he­pries­ters den Ver­lo­bungs­ring an­steckt, ist auf Tro­gers Al­tar­ge­mäl­de dargestellt.

Ein po­li­ti­sches Gebetbuch

Schon im Jahr der Wei­he der Ka­pel­le 1745 er­schien in Wien ein Ge­bet­buch zu Eh­ren des hl. Jo­seph, das auch im Be­stand der Stifts­bi­blio­thek von Zwettl ver­tre­ten ist. Leo­pold Schmitt­ner (1703–1761) fer­tig­te da­für ei­nen fein ge­ar­bei­te­ten Kup­fer­stich nach dem Schön­brun­ner Hoch­al­tar­bild an, der in der Tro­ger-For­schung bis­lang nicht be­rück­sich­tigt wur­de. Als Vor­la­ge dürf­te da­bei we­ni­ger das Ori­gi­nal selbst als die nur in Ko­pien über­lie­fer­te Öl­skiz­ze Tro­gers ge­dient ha­ben – ein wei­te­rer Be­leg da­für, dass Tro­ger sei­ne Ent­wür­fe über­ra­schend groß­zü­gig an Kol­le­gen weitergab.

Nicht über­se­hen wer­den darf der star­ke po­li­ti­sche Un­ter­ton, der in dem Ge­bet­buch mit­schwingt. So wird der Be­ter auf­ge­for­dert, „ins­be­son­de­re [für] un­se­re Kö­ni­gin Ma­ri­am The­re­si­am, und Fran­cis­cum, dero Ehe=Gemahl und Mit=Regenten“ so­wie ihre bei­den Söh­ne, den vier­jäh­ri­gen Jo­seph (II.) und den erst im Fe­bru­ar ge­bo­re­nen Karl, zu be­ten. Das Aus­spa­ren der drei zu die­sem Zeit­punkt le­ben­den Töch­ter zeigt, dass das Haupt­au­gen­merk in Zei­ten po­li­ti­scher Un­si­cher­heit (da­mals tob­te der Ös­ter­rei­chi­sche Erb­fol­ge­krieg) auf die dy­nas­ti­sche Sta­bi­li­tät des Hau­ses Habs­burg-Loth­rin­gen ge­lenkt wer­den sollte.

Ein Buch für Beter*innen

Doch an wen rich­tet sich das Buch? Aus heu­ti­ger Sicht mag er­stau­nen, dass das Ge­bet­buch an ei­ni­gen Stel­len so­wohl die männ­li­che als auch die weib­li­che Sprach­form ver­wen­det: „So neh­me mich dann auf zu dei­nen ewig Die­ner (Die­ne­rin)“. Denn für die Her­aus­ge­ber des Bu­ches war un­miss­ver­ständ­lich klar, dass sich Le­se­rin­nen nicht mit dem Text iden­ti­fi­zie­ren wür­den, wenn sich in die­sem rein männ­li­che For­men fän­den. Ob Ma­ria The­re­sia selbst, die sich in ei­ner Män­ner­welt zu be­haup­ten hat­te, hin­ter die­ser ge­ra­de­zu mo­dern wir­ken­den Maß­nah­me steckt, muss of­fen bleiben.

Text: Dr. An­dre­as Gamerith

Foto oben: Anne Blau­en­stei­ner, eine Zwett­ler Pio­nie­rin im En­ga­ge­ment für An­lie­gen von Frau­en, mit dem „ge­gen­der­ten“ Ge­bet­buch der Stifts­bi­blio­thek Zwettl: „Wert­schät­zung be­ginnt mit Spra­che.“ (Foto Stift Zwettl)

Stadt­rä­tin Anne Blau­en­stei­ner en­ga­giert sich seit 2011 eh­ren­amt­lich in be­son­de­rer Wei­se für Frau­en­the­men. 2019 über­nahm sie als ers­te Frau die Funk­ti­on ei­ner Ob­frau der Wirt­schafts­kam­mer im Wald­vier­tel. Mit Pro­jek­ten wie „Frau­en in der Wirt­schaft“ oder dem Co­wor­king Space „Frau Ida“ ver­sucht sie, Frau­en in ih­rer Leis­tung sicht­bar zu ma­chen. Auch das „Hör­bar-Ma­chen“ in der Spra­che ist ihr ein per­sön­li­ches An­lie­gen: „Wert­schät­zung drückt sich in Spra­che aus.“ Dass das The­ma „Gen­dern“ in ei­nem fast 300 Jah­re al­ten Ge­bet­buch mit größ­ter Selbst­ver­ständ­lich­keit ge­hand­habt wur­de, über­rascht und freut sie. „Du musst Vor­bild­wir­kung ha­ben, da­mit auch an­de­re sich trauen.“

Foto un­ten:

Die sehr per­sön­lich ge­hal­te­nen Ge­bets­tex­te ver­wen­den an ei­ni­gen Stel­len ne­ben der männ­li­chen auch die weib­li­che Form. Für den Ver­fas­ser (die Ver­fas­se­rin?) war klar, dass sich nur so auch Le­se­rin­nen vom emo­tio­na­len Ge­halt an­ge­spro­chen füh­len würden.

Foto: Stift Zwettl